Patienten in Deutschland (und der Schweiz) könnten bald mehr für ihre Medikamente bezahlen. Das will zumindest Donald Trump. Amerikaner würden die höchsten Arzneimittelpreise der Welt zahlen, und das sei ungerecht, sagt der US-Präsident. Er hat deshalb Anfang der Woche angeordnet, dass die Pharmaunternehmen ihre Preise in den USA senken sollen.
Kommen diese der präsidentiellen Aufforderung nicht nach, droht die Trump-Regierung der Branche mit weiteren Massnahmen. So soll der Gesundheitsminister die Unternehmen zwingen, ihre Produkte in den USA zu einem Preis abzugeben, der dem niedrigsten Preis entspricht, zu dem diese sie international verkaufen.
Trump versprach, der Branche zu helfen, ihre daraus resultierenden Einbussen wettzumachen. «In jedem einzelnen Fall zahlen unsere Bürger massiv höhere Preise als andere Länder für die gleiche Pille aus der gleichen Fabrik», klagte er bei einer Pressekonferenz. Dadurch werde «Sozialismus im Ausland mit explodierenden Preisen» in den USA subventioniert. Es sei nicht die Schuld der Unternehmen, erklärte Trump, die Länder hätten die Pharmaanbieter gezwungen. Besonders im Visier des Präsidenten ist die EU. «Die Europäische Union war brutal, brutal», sagte er.
Tatsächlich trifft es zu, dass die Pharmaunternehmen den Grossteil ihrer Gewinne in den USA einstreichen. Die USA hätten weniger als fünf Prozent der Weltbevölkerung, finanzierten aber rund 75 Prozent der weltweiten Pharmagewinne, wie das Weisse Haus zu Recht anführt. Im Jahr 2022 waren die Preise in den USA für alle Arzneimittel – Marken und Generika – rund dreimal so hoch wie die Preise in vergleichbaren Ländern. Es ist zudem in den USA weit lukrativer, neue Produkte einzuführen: Im Jahr 2023 etwa stieg der durchschnittliche jährliche Listenpreis für neue Markenmedikamente um 35 Prozent – auf 300'000 Dollar. Das hat die Nachrichtenagentur Reuters berechnet. Mehr als die Hälfte der neuen Medikamente war für seltene Krankheiten bestimmt.
In Umfragen zeigt sich eine Mehrheit der Amerikaner besorgt, ob sie sich ihre Medikamente leisten können. Drei von zehn Befragten erklärten, dass sie aus Kostengründen ihre Medikamente nicht wie vorgeschrieben einnähmen.
Irreführend ist allerdings Trumps Behauptung, andere Nationen seien die Verursacher dieser Ungerechtigkeit. Vielmehr ist der Grund für die unterschiedlichen Preisniveaus die extreme Unternehmerfreundlichkeit des US-Umfelds für die Pharmabranche. Die Handhabung von Patenten – nichts anderes als befristete staatliche Monopole – ist grosszügig. Dadurch können die Unternehmen ihre Preise länger vor der Konkurrenz schützen.
Vor allem aber können Pharmakonzerne in den USA mehr oder weniger verlangen, was der Markt hergibt. Während es in anderen Ländern Preisbeschränkungen gibt, fehlen sie in den USA nahezu komplett.
In Grossbritannien müssen sich die Anbieter beispielsweise mit dem staatlichen Gesundheitsdienst National Health Service einigen, der de facto den einzigen Abnehmer darstellt. In Deutschland gibt es keine staatlich festgesetzten Preise, sondern Festbeträge. Das sind Höchstbeträge für die Erstattung von Arzneimittelpreisen durch die gesetzlichen Krankenkassen. Ist ein Arzneimittel teurer als der Festbetrag, zahlen die Versicherten entweder die Mehrkosten selbst oder bekommen ein anderes Arzneimittel ohne Zuzahlung, das therapeutisch gleichwertig ist.
Meist wollen die Versicherten Arzneimittel ohne Zuzahlung, daher fordern Pharmaunternehmen nur für wenige Arzneimittel Preise über dem Festbetrag. Das wirkt dämpfend auf die Preise. Ausserdem müssen die Pharmaunternehmen den Krankenkassen für Arzneimittel ohne Festbetrag einen gesetzlich vorgegebenen Rabatt auf den Abgabepreis einräumen.
Potenziell gäbe es auch in den USA die Möglichkeit, härter zu verhandeln. Der grösste Abnehmer für Medikamente in den USA ist Medicare, die staatliche Krankenversicherung für über 65-Jährige. Rund 70 Millionen Amerikaner sind über Medicare versichert. Erst seit 2006 übernimmt Medicare auch verschreibungspflichtige Medikamente. Allerdings setzten die Republikaner damals durch, dass Medicare ihre enorme Nachfragemacht nicht für Verhandlungen mit den Pharmaherstellern einsetzen darf.
Ein Beispiel für die Folgen dieses Laissez-faire-Regimes ist Insulin. Der Preis für dieses lebensnotwendige Mittel wurde von den Anbietern so hochgeschraubt, dass Menschen mit geringem oder gar keinem Krankenversicherungsschutz berichteten, dass sie mehr als 1'000 Dollar pro Monat zahlen müssten und deshalb die Dosis verringerten sowie sich etwa beim Essen einschränkten.
Im Jahr 2022 waren die Insulinpreise in den USA fast zehnmal höher als in 33 vergleichbaren Industrienationen. Trumps Vorgänger Joe Biden setzte schliesslich eine Obergrenze von 35 Dollar für Insulin im Monat für Medicare-Versicherte durch.
Unter seiner Regierung erhielt Medicare auch die Möglichkeit, ab 2026 für eine beschränkte Anzahl gängiger Therapien mit den Herstellern über Rabatte zu verhandeln. Trump tat Bidens Offensive als «grosses Scheitern» ab und kündigte Änderungen an. Bleibt abzuwarten, ob die Vorschrift 2026 in Kraft tritt.
Der Pharmabranche – neben der Finanzbranche und den Öl- und Gasproduzenten die einflussreichste Lobby in Washington – kommt zudem die fragmentierte Gesundheitsversorgung in den USA zugute. Neben Medicare und Medicaid, der staatlichen Gesundheitsversorgung für Einkommensschwache und Berufsunfähige, sind 165 Millionen Amerikaner – rund die Hälfte der Bevölkerung – über den Arbeitgeber krankenversichert.
Das hat historische Gründe: Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte Arbeitskräftemangel. Um zu vermeiden, dass sich die Unternehmen gegenseitig mit höheren Löhnen überbieten und so eine Inflation auslösen könnten, führte die Regierung Beschränkungen für Löhne und Gehälter ein. Das Angebot einer Kranken- und Rentenversicherung war davon aber nicht betroffen und wurde so zu einem wichtigen Bestandteil der Vergütung.
Der Arbeitgeber schliesst dafür einen Vertrag mit einer Krankenversicherung ab. Zwischen diesen Parteien sind zudem sogenannte Pharmacy Benefit Manager eingeschaltet, kurz PBM, die als Zwischenhändler zwischen Arbeitgebern oder Versicherern einerseits und den Pharmaunternehmen andererseits agieren und Rabatte mit den Herstellern aushandeln. Die PBMs behaupten, ihre Verhandlungsmacht bringe den Versicherten Einsparungen. Doch in den vergangenen Jahren gab es immer wieder Berichte, dass die PBMs ihre Rolle stattdessen ausnutzten, um sich zu bereichern.
Im September 2024 verklagte die FTC, das Kartellamt, die PBMs wegen Preistreiberei. Als Beleg diente den Kartellwächtern das Insulin. 1999 hat der durchschnittliche Listenpreis von Humalog – einem Markeninsulin von Eli Lilly – nur 21 Dollar betragen. Statt wie versprochen, Einsparungen zu erzielen, hätten die PBMs für einen sprunghaften Anstieg der Listenpreise für Insulinmedikamente gesorgt. Im Jahr 2017 lag der Listenpreis von Humalog bei über 274 Dollar – eine Steigerung von mehr als 1'200 Prozent. «Während die befragten PBMs Milliarden an Rabatten und damit verbundenen Gebühren kassierten, konnte sich 2019 eine von vier Insulinpatientinnen ihr Medikament nicht mehr leisten», hiess es in der Klage.
Das hat breite Auswirkungen nicht nur auf einzelne Patienten, sondern auf die Lebenshaltungskosten allgemein. Die höheren Medikamentenpreise zählen zu den Treibern für die hohen Krankenversicherungsbeiträge in den USA. Zwischen 2005 und 2022 stiegen die Prämien um nahezu 80 Prozent, so lautet eine Analyse des US-Arbeitsministeriums. Das macht es besonders schwierig für Amerikaner, deren Arbeitgeber keine Versicherung anbietet. Sie müssen die Prämien komplett aus eigener Tasche bezahlen – oder auf eine Krankenversicherung verzichten.
Um ihre hohen Preise zu rechtfertigen, verweisen die Versicherer auf ihre hohen Kosten für Forschung und Entwicklung. Und es ist zutreffend, dass mehr neue Medikamente zuerst in den USA auf den Markt kommen als etwa in Europa. Allerdings zeigen Studien, dass grosse Pharmakonzerne oft mehr Geld ins Marketing stecken: «Von den zehn untersuchten Arzneimittelherstellern gaben sieben an, mehr für Vertrieb und Marketing auszugeben als für Forschung und Entwicklung», gab der amerikanische Verband der privaten Krankenversicherer in einer Untersuchung aus 2021 bekannt.
Doch Trump richtet seine Attacke stattdessen auf Europa und andere Nationen. Wie er diese zwingen will, mehr zu zahlen, ist nicht ganz klar. Allerdings hat er eine Waffe, die er immer gerne einsetzt: Zölle.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.
Also Herr Trumpel, greifen sie sich an ihre lange Nase...aber das wäre ja schon mit Verstand verbunden, über den Schatten zu springen, was also nicht passiert.